Marktkommentar – 3. Quartal 2021

Leon Christian BreuerMarktkommentare, Top-News

Festgefahrene Börsen

Die Anleger bewegen sich im Neuland. Auf dem aktuellen Kursniveau war niemand zuvor unterwegs und so fühlt sich der Grund, auf dem die Bewegung stattfindet, von Zeit zu Zeit an wie ein Drahtseil, auf dem es gilt, die Balance zu wahren.

 

30 Jahre Grohmann & Weinrauter (G&W)

G&W war bei der Gründung im Oktober 1991 einer der ersten bankenunabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland. Banken waren damals der Ort, an dem das Kapital der Anleger verwaltet wurde. Es war Neuland, in das sich Thomas Grohmann und Martin Weinrauter damals aufgemacht haben, um ihre Vorstellungen von Kapitalanlage umzusetzen. Sie wollten Risikomanager werden. So etwas gab es damals nicht für Privatanleger in Deutschland. Der Anlass für die Unternehmensgründung war der Börsencrash im Herbst 1987 und damit das genaue Gegenteil von dem, was jetzt im Herbst 2021 die Marktteilnehmer bewegt. Damals wie heute stellt sich allerdings die Frage, ob man jede Entscheidung neu im luftleeren Raum diskutieren, abwägen und treffen will, oder ob einige Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die anschließend nicht immer wieder neu in Frage gestellt werden.

 

Regeln

Die erste dieser Entscheidungen muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob man selber der Nabel der Entscheidungswelt sein will, oder ob man bereit ist anzuerkennen, dass die Mehrheit der Börsenteilnehmer das größere Gewicht auf die Waage bringen wird. Vielleicht ist es Erfahrung, die bei der Antwortwahl eine Rolle spielt, vielleicht ist es aber auch eine Frage der eigenen Grunddisposition und es gibt in dieser Hinsicht keine echte Entscheidungsfreiheit. Wer die Entscheidungsfreiheit für sich reklamiert, wird auf der emotionalen Ebene des Geschehens deutlich mehr geboten bekommen als derjenige, der die Entscheidungen über Kauf und Verkauf an Regeln bindet, und eine dieser auf Dauer nützlichsten Regeln für Risikomanager ist die Prozyklik. Sie besagt, dass eine Entscheidung im Trend der Börsen eine höhere Aussicht auf Erfolg hat, als eine Entscheidung gegen den aktuellen Trend des Marktgeschehens.

 

Kipppunkte

Genau an dieser Stelle liegen die Probleme. Das kleinere Problem liegt in der exakten und damit entscheidungsrelevanten Definition des Trends. Wie weit oder wie eng werden die tolerierbaren Bandbreiten für das Atmen des Marktes gesetzt. Gibt man dem Trend wenig Spielraum, dann ist man schnell draußen und kann sich neu orientieren. Setzt man die Spurbreite weit, dann fliegt man nicht in jeder größeren Korrektur aus dem Investment, ist aber immer erst relativ spät ausgestiegen, wenn der Markt nicht innerhalb des Trends korrigiert, sondern tatsächlich in die Gegenrichtung dreht. Dies ist das große Problem jeder prozyklischen Trendfolge. Es gibt Kipppunkte. Auch wenn Trends häufig viel länger dauern als gedacht, die Bäume wachsen nicht in den Himmel und kein Trend hält sich endlos lange im Rahmen der gesetzten Definitionen.

 

Endorphinversuchung

Diese Kipppunkte sind immer wieder der Stein des Anstoßes für einen prozyklischen Trendfolger, wie G&W dies seit der Grundsatzentscheidung vor dreißig Jahren ist. Wir wissen wie jeder andere Trendfolger auch, dass es Trendwenden gibt, und dass hier, an den Wendepunkten, die Richtung kippt und sich in ihr Gegenteil verkehrt. Es wäre das Großartigste überhaupt in der Kapitalanlage, wenn es gelingen würde, diese Punkte im Moment ihrer Entstehung zu identifizieren. Das ist der Traum eines jeden Antizyklikers, der Verkauf im Bereich des Kurshochs und der Kauf im Bereich des Kurstiefs. Nur das. Mehr braucht es nicht. Wäre dies intellektuell schon sehr zufriedenstellend, so wäre es auf der Ebene der emotionalen Belohnungssysteme ein Feuerwerk der Endorphinausschüttung. Man hätte Recht gehabt und man hätte Recht bekommen. Das ist nicht zu überbieten. Von daher gedacht ist es nicht erstaunlich, dass jeder Kapitalanleger zunächst versucht, diese Ziele im Markt zu verwirklichen.

 

Lernkurve

An dieser Stelle kommt Erfahrung ins Spiel und die Frage des individuellen Umgangs mit der Lernkurve. Thomas Grohmann und Martin Weinrauter haben in den 80er Jahren die Erfahrung eines langanhaltenden Aufwärtstrends gemacht. In diesem Aufwärtstrend konnte man nach Herzenslust kaufen und verkaufen. Anstiege im Trend wurden zum Verkauf genutzt. Rückschläge im Trend zum Kauf. Es war äußerst unterhaltsam. Die Provisionseinnahmen der Bank sprudelten. Es war eine gute Zeit. Das Markthoch dieses großen Trends der 80er lässt sich per Rückblick zweifelsfrei im August 1987 finden. Die seit August fallenden Kurse in diesem Jahr wurden allerdings zunächst als Kaufgelegenheit wahrgenommen. So war es schließlich all die Jahre zuvor auch gewesen. Doch dann kam der Oktober und mit dem Oktober 1987 der erste Börsencrash seit dem Zweiten Weltkrieg. Natürlich gab es einige Leute, die dies vorhergesehen hatten. Die gibt es immer. Und weil diese Vorhersagen so markant waren, wurden ihre Verkünder zu Gurus und Börsenstars. Anschließend hatten sie nie wieder so richtig Recht, aber das konnte damals ja noch nicht jeder wissen. Im Bankenumfeld hatte man den Börsencrash nicht vorhergesehen. Ebenso erging es dem anschließenden Aufwärtstrend. Nach zehn Wochen und mehr als vierzig Prozent Kursverlust im FAZ-Index war die Verunsicherung im Januar 1988 so groß, dass die Analyseabteilungen der Banken den Weltuntergang vorhersahen und zum Verkauf rieten. Anschließend stiegen die Kurse. Diese oder andere Erfahrungen wird jeder Kapitalanleger früher oder später machen. Mit diesen Erfahrungen stellt sich die Frage nach der Schlussfolgerung. Die Gründer von G&W haben damals den Schluss gezogen, dass es im Einzelfall zwar möglich ist, ein Kurshoch oder ein Kurstief zu identifizieren, aber nicht regelmäßig auf Dauer und schon gar nicht zuverlässig.

 

Erfahrungswerte

Was sind diese Erfahrungen wert, wenn wir es heute, im Herbst 2021, nicht mit den Turbulenzen eines Kapitalmarkt- Crashs, sondern mit dem schwankungsarmen Kursverlauf im erweiterten Bereich eines Kurshochs zu tun haben? Einerseits sind sie alles wert. Andererseits können sie auch nichts wert sein. Es hängt von den Schlussfolgerungen ab, die aus dem Vergleich von Erfahrung und aktuellen Marktgegebenheiten gezogen werden. In genau diesem Dilemma stecken im Moment viele Marktteilnehmer. Der Markt kommt schon seit Monaten nicht mehr von der Stelle. Entfällt aber der beruhigende Rückkopplungseffekt von steigenden Kursen auf die Psyche der investierten Anleger, dann taucht immer die Frage in den Marktdebatten auf, ob die Kurse nicht fallen müssten. Die Begründungen sind einfach: weil sie nicht steigen und zudem hoch sind. Jemand, der noch nie einen markanten Marktrückgang mitgemacht hat und daher nicht weiß, wie sich das anfühlt, wird in dieser Ausgangslage anders reagieren als jemand, der diese Erfahrung schon gemacht hat. Der Unbedarfte wird weiterhin das erwarten, was ihm in dem zurückliegenden Aufwärtstrend seit dem Corona-Crash an Gutem widerfahren ist. In demjenigen, der bereits Crash-Erfahrung hat, wird die Sorge bis zur Angst hochkochen, dass einem noch unbestimmbaren aber heraufziehenden Unheil nur durch Verkauf zu entkommen ist.

 

Faktenlage

Historisch versierte Marktteilnehmer sehen, dass die Kurshochs wie im Jahr 1987 auch jetzt wieder im August zu finden sind. Sie werden auch erkennen, dass der Markt erneut seit dem August Schwächen zeigt. Allein im September sind die Kurse an den Börsen um ca. 5 % gefallen. Parallelen zur Vergangenheit sind also gegeben und der Schluss liegt nahe, auch die Oktober-Börsencrashs der Vergangenheit in aktuelle Überlegungen einzublenden. Die Erfahrungen könnten daher zum Verkauf geführt haben. Warum sonst hätten die Kurse im September fallen sollen, wenn sie nicht durch ein Übergewicht an Verkäufern ausgelöst worden wären. Der Unbedarfte wird seinerseits sehen, dass die Kurse gefallen sind. Er wird sie als Chance wahrnehmen und die Gelegenheit zum Kauf nutzen.

 

G&W Risikomanagement

Was machen wir nun mit all unserer Erfahrung als Risikomanager mit den Gegebenheiten der Märkte Anfang Oktober 2021? Wir schauen auf die Algorithmen unserer Fonds. Sie arbeiten je nach Fondsstrategie in unterschiedlichen Märkten, bewerten oder neutralisieren Währungsaspekte und gehen mit ganz unterschiedlichen Haltungen an die Gegebenheiten des Marktes heran. Die schnell reagierenden G&W-Fonds haben bereits erste Teilpositionen abgebaut. Es ist noch nicht markant, aber das würde auch nicht zum aktuellen Chancen- und Risikoprofil der Märkte passen. Andere G&WFondsstrategien lassen sich nicht so schnell aus der Reserve locken und geben dem Auf und Ab der Märkte mehr Raum. Das, was bisher geschehen ist, reicht diesen Strategien noch nicht für Verkäufe und das, was vielleicht geschehen könnte (aber nicht muss) spielt sowieso keine Rolle für einen prozyklischen Trendfolger. Darüber hinaus war ein Detail der Märkte für die Wertentwicklung der Kapitalanlagen im vergangenen Quartal relevant. Der Euro war im Vergleich zu nahezu allen Währungen schwach und das bedeutet, dass die Fondsstrategien mit hohem Währungsanteil einen Vorteil für sich verbuchen und einen Teil der Aktienverluste kompensieren konnten. Diese Diversifikation der strategischen Reaktionsmuster in einer Marktphase, die (noch) nicht eindeutig ist, ist auf Dauer der sinnvollere Umgang mit Kapitalmärkten, als eine allzu prägnante Meinung zu entwickeln, und alles auf eine Karte zu setzen.

 

Ausblick

Abgesehen von Auf und Ab der Kurse ist das große Thema des Marktes die Nachhaltigkeit. Sie wird regulatorisch verordnet und von immer mehr Anlegern nachgefragt. G&W stellt sich in der hauseigenen Kernkompetenz als Risikomanager gemeinsam mit Nachhaltigkeitsprofessionals schon seit Jahren dieser Herausforderung. Wir werden diese Themen in unserem Jahresbericht 2021 ausführlich kommentieren.

 

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