Marktkommentar – 2. Quartal 2023

Leon Christian BreuerMarktkommentare

Erwartung vs. Realität

Inflation und die Gegenmaßnahmen der Zentralbanken bestimmen seit achtzehn Monaten die Börsen. Neun Monate lang folgten fallende Kurse der Erfahrung: „Never fight the Fed.“ Als im Herbst 2022 erste rezessive Tendenzen zu erkennen waren, sah der Markt das Ziel der Zinserhöhungen als erreicht an, nahm eine Zukunft nach der Rezession in den Blick und startete einen Hoffnungslauf. Neun Monate lang stiegen die Kurse mehr oder weniger. Kann es so weitergehen?


Börsenwert
Die Börsen handeln in der Gegenwart die Erwartungen an zukünftige Ereignisse. Stimmen aktuelle Fakten der Gegenwart aber nicht mit dem überein, was in der Vergangenheit erwartet wurde, dann kracht es an den Börsen. Werden z.B. die tatsächlichen Gewinne eines Unternehmens veröffentlicht und weichen diese Zahlen von den Gewinnschätzungen ab, an die der Markt bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatte, dann löst dies regelmäßig Turbulenzen aus. Die Kursbewegungen können in wenigen Minuten ein Ausmaß erreichen, das für einen unvoreingenommenen Betrachter unvorstellbar ist und ihn mit der Frage zurücklässt, wie ein Unternehmen von jetzt auf gleich einen wesentlichen Teil seines Börsenwerts verlieren kann. Was ist ein Unternehmen an der Börse wert? Die erste Antwort würde lauten, dass dieser Wert dem Produkt aus dem Preis der Aktien und der Anzahl aller ausgegebenen Aktien entspricht. Allerdings wird diese Antwort in den meisten Überlegungen zum Börsenwert nur eine geringe Rolle spielen. Es dürfte eher um die Frage gehen, was die Aktie heute wert ist und wieviel sie in der Zukunft wert sein wird..

Zukunft
Eine der beeindruckendsten Kursbewegungen in diesem Jahr hat zweifellos NVIDIA hinter sich. Das Unternehmen gehört nicht zu den klassischen Big Five der Technologiebranche in den USA. Zum erweiterten Kreis der Big-Tech Unternehmen gehört der Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen allerdings schon seit Jahren und nicht erst, seit der Börsenwert des Unternehmens nach einem Kurssprung im Mai 2023 erstmals 1 Billion USD übertraf. Was für eine Geschichte lässt sich aktuell zur Entwicklung des Börsenwerts dieser Aktie erzählen. Im November 2021 hatte der Aktienkurs ein vorläufiges Hoch erreicht, sich dann in weniger als einem Jahr bis zum Oktober 2022 etwa gedrittelt, nur um sich anschließend wieder zu vervierfachen (siehe Chart auf Seite 2). Das kann bei derart großen Aktien mit Fug und Recht als spektakulär bezeichnet werden. Die Fundamente, auf denen diese Achterbahnfahrt stattgefunden hat, sind einerseits die Finanzkennzahlen des Unternehmens, andererseits aber auch Zukunftsfantasien. Der Absturz wurde ab Anfang 2022 von der Erwartung eines Zinsanstiegs befeuert, denn steigende Zinsen wirken wie Gift auf die Kurse von Wachstumswerten. Inflation hatte sich schon seit Mitte 2021 breit gemacht. Die Zentralbanken hatten sie zunächst nicht ernstgenommen, denn die Preisveränderungen schienen von einem der üblichen Anstiege der häufig stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise auszugehen. Doch in diesem Fall steckte mehr dahinter. Als die Zentralbanken dann Anfang 2022 von einer Anti-Deflations- auf eine Anti-Inflationspolitik umschalteten, wurde es ernst an den Börsen. Je stärker die Gewinne eines Unternehmens in der Zukunft wachsen sollen, umso weniger Wert misst man ihnen in der Gegenwart zu, wenn es an den Märkten höhere Zinsen als Alternative gibt. Das war im vergangenen Jahr 2022 der eine Faktor für den Absturz des Börsenwerts von NVIDIA und aller Techwerte, aber ebenso des gesamten Marktes. Hinzu kommt, dass der NVIDIA-Gewinn pro Aktie um die Hälfte fiel. Der anschließende Aufschwung wurde von der Hoffnung getragen, dass die bisher erfolgten Zinserhöhungen der Zentralbanken ausreichend sein könnten. Man glaubte, es würde nicht nur keine weitere Zinserhöhung mehr geben, die Börse in den USA handelte bereits schon die Erwartung von drei Zinssenkungsschritten im Spätherbst 2023. Das ist mittlerweile Schnee von gestern. Die Zentralbanken haben für die USA und Europa klar gemacht, dass ihr Job noch nicht erledigt ist. Die Inflation ist nach wie vor zu hoch. Es wird weitere Zinserhöhungen geben. Aber mehr als all diese häufig geäußerten und allseits bekannten Überlegungen übernahm dann ein viel interessanteres Thema die Kontrolle über die Gedankenwelt der Börsianer. Künstliche Intelligenz (KI). Ein Hype brach aus. Auslöser war das Programm ChatGPT (siehe Textende). Jedes Unternehmen, das in irgendeiner Form etwas mit KI zu tun hatte, meldete sich zu Wort und betonte, selber einer der erfolgreichen Player in diesem Markt zu sein, oder zumindest künftig sein zu wollen.

Gegenwart
Aktuell steht der Kurs von NVIDIA im Bereich seiner Allzeithochs. Das ist hoch, höher als jemals zuvor, und die Unternehmensbewertung in der Relation von Kurs zu Gewinn pro Aktie ist dabei geradezu astronomisch hoch. Aber … könnte es nicht noch höher gehen? Schließlich waren Kurs und Bewertung auch vorher schon hoch und die Notierungen sind dennoch gestiegen. Auch wenn das Beispiel NVIDIA außergewöhnlich ist, der Alltag an den Börsen spielt sich im Großen wie im Kleinen in diesem Rahmen ab. Was für einzelne Aktien gilt, hat ebenso auch Geltung für Börsenindizes wie den DAX-Index. Der maßgebliche Deutsche Aktienindex ist 35 Jahre alt. Am 1. Juli 1988 wurde er zum ersten Mal im laufenden Börsengeschehen berechnet. In Deutschland hält man ihn für eine Erfolgsgeschichte, doch im Vergleich zu maßgeblichen internationalen Indizes wird seine Entwicklung dadurch geschönt, dass die gezahlten Dividenden in die DAX-Performanceindexnotiz eingerechnet werden. Es gibt auch einen DAX Kursindex, für dessen Indexberechnung die Entwicklung der im Index enthaltenen Aktien ohne Dividendenzahlung verwendet wird (so wie bei den Charts der Aktien selbst auch), doch den Kurs-DAX schaut sich kaum jemand an. Würde man hinschauen, dann würde man sehen, dass das aktuelle Niveau des DAX-Kursindex bereits vor 10 Jahren erreicht worden ist. Per Saldo ist also im Durchschnitt bei den Kursen der deutschen Standardwerte seit einem Jahrzehnt nicht allzu viel passiert.

Leitworte im Widerstreit
Anfang Juli 2023 fordert der Markt den Betrachter dazu heraus, zwei Leitworte miteinander zu konfrontieren und zu fragen, wohin es ab jetzt mit dem Markt gehen soll. Die pessimistischen Analystenmeinungen könnten treffend überschrieben werden mit: „Never fight the Fed.“ Das andere Lager der Marktmeinungen sagt: „The trend is your friend.“ Übertragen auf den deutschen Aktienindex besagt dies, dass der Markt in den neun Monaten zwischen Jahresanfang 2022 und Ende September 2022 in einem Abwärtstrend gefallen ist. In den folgenden neun Monaten bis Ende Juni 2023 ist der Markt wieder in einem Aufwärtstrend gestiegen und hat die Scharte (ausschließlich im DAX-Performanceindex) komplett ausgewetzt. Beide Bewegungen für sich haben mehr als 20 % Kursstrecke zurückgelegt. Verwendet man die Normdefinitionen für Trendlängen, so handelt es sich daher bei beiden Trends um Langfristtrends. Eigentlich soll diese Definition dabei helfen, anhand von Wahrscheinlichkeiten sagen zu können, dass dieser Trend signifikant ist und daher nun für eine längere Zeit Bestand haben wird. Aber wie es so ist mit der Statistik. In diesem Fallbeispiel eines Abwärtstrends traf es nicht zu. Kaum waren die künftige Dauer und der Bestand des Abwärtstrends vermeintlich sicher für die Zukunft prognostizierbar, war sein Ende schon eingeläutet. Aber wie verhält es sich nun mit dem aktuellen Aufwärtstrend seit Oktober 2022? Er ist per Definition jetzt auch ein langfristiger Aufwärtstrend. Vielleicht könnte er nun den Anhängern der Langfristdefinition von Trends Recht geben. Vielleicht aber auch nicht, denn diese Aufwärtsbewegung hat so einiges gegen sich. Ihr wichtigstes Argument ist die vermeintlich moderate Marktbewertung, doch die Gewinne von einer erstaunlichen Anzahl von DAX-Indexteilnehmern wurden überzeichnet von Margenausweitungen im Umfeld von Inflation und einem fehlenden Angebot vieler Vorprodukte aufgrund von gestörten Lieferketten (Corona-Lockdowns in China) und einer Fehleinschätzung des benötigten Materials (Chips). Der Autosektor, als ein Beispiel für andere Branchen, hat dies für ungewöhnliche Preiserhöhungen nutzen können. Diese Effekte scheinen nun auszulaufen und könnten auch die Gewinnmargen der Unternehmen wieder auf ein übliches Maß zurückstutzen. Nicht übersehen werden sollten die Auswirkungen der Zinserhöhungen und der Inflation. Sie hinterlassen Spuren im verfügbaren Einkommen und bremsen damit den künftigen Konsum aus. Damit bringt die von den Zentralbanken veranlasste Erhöhung des Zinsniveaus eine überschießende Nachfrage wieder in das Gleichgewicht mit dem bestehenden Angebot, was zu Preissenkungen und damit einer sinkenden Kerninflationsrate führt. Eine erhebliche Anzahl von Marktteilnehmern hofft aktuell immer noch, dass den Zentralbanken eine der seltenen sanften Landungen gelingt, also ein Abbremsen der Konjunktor ohne Rezession. Diese Meinung passt zum Kursanstieg der großen Aktien, wie sie im DAX-Index enthalten sind. Die Kursentwicklungen der mittleren und kleineren Unternehmen, die im MDAX und SDAX enthalten sind, zeigen ein deutlich weniger optimistisches Bild. Über kurz oder lang wird es eine Annäherung des Abstands geben. Wer sich auf wen zubewegt, wird die Zukunft zeigen.

PS: Dieser Marktkommentar wurde von einem Menschen, und nicht von ChatGPT geschrieben.

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