Marktkommentar – 2. Quartal 2020

Leon Christian BreuerMarktkommentare

Rebound
Seit Jahrzehnten schreiben wir Marktkommentare, aber den englischen Begriff „rebound“ haben wir bisher noch nie verwendet. Für die Beschreibung der Marktverfassung im ersten Halbjahr 2020 passt er aber so gut, dass wir ihn jetzt ins Spiel bringen mussten. Ein Rebound im Basketball ist der Rückprall des Balls vom Brett oder vom Korb-ring. Der Ball wurde also nicht durch das Netz versenkt. Aber auch wenn dieser Korb nicht erzielt wurde, so ist die Mannschaft, die den Angriff gestartet hat, dennoch weiterhin am Drücker, denn der Ball wird häufig von ihr aufgefangen und dann läuft die nächste Angriffswelle.

Dieses Muster wurde von den Börsenteilnehmern auch an den Aktienmärkten erwartet. Kaum jemanden hat die Dynamik des Corona-Crashs unberührt gelassen. Die Erklärung für den Kurs-rückgang ist einleuchtend. Die Volkswirtschaften werden weltweit durch den stärksten Konjunktur-einbruch der vergangenen 100 Jahre erschüttert. Es erschien als wahrscheinlich, dass die Börsen-kurse dieses Geschehen abbilden. Die Rück-gänge der großen Aktienindizes in einem Ausmaß von 30 % bis 40 % wurden als nicht ausreichend angesehen. Eine zweite Welle fallender Kurse musste daher als das Szenario gelten, das aufgrund der gegebenen Ausgangslage zu erwarten war. Die Börsenwelt war durch das Eingreifen der Zentralbanken zwar noch nicht versenkt worden, aber in der zweiten Verkaufs-welle würde dies geschehen.

Szenarien
Drei Buchstaben werden für die Erholung der Wirtschaftslage und damit auch der Börsen nach solch einem Einschnitt verwendet. Das „L“ ist die übelste Ausgangslage. Der horizontale Balken des Buchstabens zeigt es an: Der Markt wird sich über lange Zeit nicht erholen. Ein „U“ steht für einen begrenzten Zeitraum der Marktschwäche, doch dann wird das geschehen, was bisher immer noch der Fall war: Wachstum stellt sich ein und es gibt einen neuen Aufschwung. Das „V“ steht mehr oder weniger für einen Irrtum des Marktes. Die Kurse brechen ein und anschließend geht es ohne Bodenbildung und ohne Zögern wieder aufwärts. Dieses Szenario erschien vor dem Hintergrund der Lockdowns als nahezu undenk-bar, und doch ist genau dies geschehen.

Undenkbar
Der häufig unüberwindbare Widerstand der eigenen Erwartungshaltung spiegelt sich im Wortlaut der Überschrift eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom vergangenen Wochenende: „Sind die Tesla-Fans wahnsinnig geworden?“

Die Überschrift ist kein Ausrutscher oder Blickfänger, im Text geht es munter weiter: „Dennoch haben Anleger wie berauscht den Tesla-Kurs auf immer neue, irrwitzige Höhen getrieben.“
Fans. Wahnsinnig. Berauscht. Irrwitzig. Der FAZ- Redakteur schreibt sich den Frust von der Seele, nicht dabei gewesen zu sein. Es war ihm nicht möglich. Er sieht das Kursgewinnverhältnis von über 300. Er vergleicht die Produktionszahlen aller deutschen Autokonzerne von 16 Millionen Autos mit Teslas 365.232 Auslieferungen im vergangenen Jahr und versteht nicht, warum Tesla an der Börse höher bewertet sein kann, als alle deutschen Autokonzerne zusammen. Tesla, die Automarke, die von einem amerikanischen (!) Analysehaus im alljährlichen Qualitätsreport auf den letzten Platz gesetzt wurde.

Was also sehen die Investoren, die Tesla kaufen? Sie sehen Tesla nicht als Autobauer, sondern als Technologieunternehmen, das mit seinen Batterie- und Datenmanagementsystemen im Fahrzeug einen technologischen Vorsprung vor der Konkurrenz hat und mit diesen Daten besonders bei der Weiterentwicklung des auto-nomen Fahrens punkten wird. Sie glauben an starke Wachstumszahlen. Sie registrieren, dass Tesla nicht mehr von einer Insolvenz bedroht ist – wie noch im vergangenen Jahr – sondern jetzt einen positiven Cash-Flow hat und seine Produktionsziele einhält. Tesla könnte also zum „Gewinner der Post-Corona-Zeit“ werden. So wie es z. B. Amazon, Apple oder Alphabet (der Mutterkonzern von Google) bereits in der Ante-Corona-Zeit geworden sind. Aber reicht das aus, um den Kurs von Tesla zu rechtfertigen?

Realität
Die Frage nach dem gerechtfertigten Preis kann zwar gestellt werden, sie macht aber weder bei Tesla, noch bei der Frage nach dem Kursanstieg der Aktienmärkte im zweiten Quartal 2020 Sinn, einem Umfeld von teils extrem schlechten Wirtschaftszahlen.
Der Preis von Aktien muss sich nicht rechtfertigen. Er spiegelt die Realität von Angebot und Nachfrage wider. Es geht nicht darum, was ein einzelner Investor glaubt, sondern es geht darum, was die Mehrheit der Marktteilnehmer mit ihren Käufen und Verkäufen per Saldo zum Ausdruck bringt. Dieses Votum war im zweiten Quartal 2020 klar und eindeutig.
Diese Realität ist nicht ohne Intervention von außen entstanden. Im Bild des Basketballs hat das Team, das Interesse daran hatte, dass der
Ball nicht im Netz versenkt wird, ausgewechselt und einen „Big Man“ auf das Spielfeld geschickt.

In die Börsensprache übersetzt: es wurden fiskalische und monetäre Impulse gesetzt. Die Zentralbanken haben extrem viel Geld in das System gepumpt. Sie haben Anleihen in einem Ausmaß gekauft, das die Märkte regelrecht unter Wasser gesetzt hat, so dass fast alle Schiffe, die in Gefahr gerieten auf dem Trockenen zu stranden, wieder Wasser unter den Kiel bekamen. Die Staaten haben diese Maßnahmen durch Garantien und direkte Zahlungen flankiert, und damit letztendlich verhindert, dass es zu einer Kreditkrise kam.
Niemand konnte vorhersehen, ob dieser „Center“ tatsächlich in der Lage sein würde, den Korb in der größten Rezession seit Menschengedenken zu verteidigen. Stand heute muss man sagen: Er hat es geschafft. Bisher.

Zukunft
Seit Mitte März sind die Kurse gestiegen. Sie kamen von dem tiefen Niveau aus, das durch Angst und den Absturz der Kurse zwischen Mitte Februar und Mitte März etabliert wurde. Seit etwa einem Monat allerdings ist dieser Anstieg ins Stocken geraten. Es geht nicht mehr voran. Einzig der NASDAQ-100 Index hat es im Juni 2020 geschafft, seinen Aufwärtstrend durch neue Kurshochs zu bestätigen, und sofort ist die Frage wieder da: War es das jetzt? Haben sich die Aufwärtskräfte erschöpft? Zuerst stiegen die Aktien, denen man auch in Corona-Zeiten Potential zubilligt, dann alle anderen Qualitäts-aktien, deren Kurse man in Zeiten von aufkommender Zuversicht als zurückgeblieben angesehen hat. Doch was soll jetzt kommen?

Diese Sorge und diese Empfindungen sind nicht neu. Es geschieht nicht zum ersten Mal, und es wird nach vergleichbaren Kursstürzen auch in Zukunft wieder so sein. Man nennt dieses Phänomen der in Krisenzeiten steigenden Kurse „climbing a wall of worry“. Wer gern Podcasts hört, findet auf unserer Homepage bei den Informationen unter dem Datum 13. Mai 2020 ein Interview zu diesem Thema. Es geht um Risiken und Chancen, und auch um die Frage, ob die Angst ein guter Ratgeber ist, wenn es gilt, Käufe und Verkäufe diszipliniert umzusetzen.

Fazit
Was hat unser Chancen- und Risiko-Management im ersten Halbjahr 2020 geleistet? Der erste entscheidende Punkt wurde dafür vergeben, zunächst bis Mitte Februar offensiv dabei gewesen zu sein. Es galt, Chancen im steigenden Markt zu nutzen. Bereits im Jahr 2019 hat der Markt, trotz negativer Prognosen als Nachklang aus dem problematischen Jahr 2018, erhebliche Chancen geboten und bis Mitte Februar 2020 wurde der Aufwärtstrend an den Märkten mit vielen neuen Höchstkursen bestätigt.
Der zweite wichtige Schritt waren Verkäufe im Verlauf extrem schnell und stark fallender Kurse. Wir sind Risikomanager und haben konsequent verkauft. Die Investitionsquoten unserer Strate-gien haben sich bei den Fonds, die bis zu 100 % in Aktien investieren und von Risikomanagement-systemen gesteuert werden, ab März zunächst in Bandbreiten von 20 % bis 40 % bewegt. Kein Investor hätte bei weiter fallenden Kursen Angst vor gravierenden Verlusten haben müssen.

Entscheidend war dann aber letztendlich der dritte Schritt. Als Risikomanager mussten wir zurück-kommen und nicht vor der „wall of worry“ zurückschrecken, sondern mit dem Markt klettern.
Der Start dazu wurde wie immer bei G&W von mathematischen Modellen bestimmt. Wir verlassen uns nicht auf unsere Fähigkeiten, eine richtige Vorhersage zu treffen. Wir versuchen nicht zu entscheiden, ob die Zukunft von Tesla rosig oder eher düster aussehen wird, sondern wir haben in mehreren Fonds Tesla gekauft, ohne uns diese Frage zu stellen. Der Aufwärtstrend war im Zeitpunkt des Kaufs so stark, dass ein mathematisches Modell, das solche Trends identifiziert, ihn nicht übersehen konnte. Unsere Aufgabe bestand darin, dieses Signal nicht durch Zweifel in Frage zu ziehen. Nichts anderes ist auch im Hinblick auf die Aktienmärkte selbst geschehen. Die Kurse begannen zu steigen. Es wurde zum Risiko, im steigenden Markt nicht dabei zu sein. Wir haben gekauft. Der Markt ist anschließend weiter gestiegen. Als so einfach kann das im Nachhinein angesehen werden.

Um auf diesem Kurs zu bleiben, ist Diversifikation eine wichtige Hilfe, also eine Vorgehensweise, die nicht alles auf eine Karte setzen muss. Jede unserer Dispositionen ist nur eine Teildisposition. Sie erfolgt Schritt für Schritt, und Aktie für Aktie. Darüber hinaus sind unsere Systeme unterschiedlich getaktet. Einige folgen dem Markt zeitnah. Geht es schnell und gibt es keine Rücksetzer wie in diesem Jahr, dann haben diese Fonds anschließend die Nase vorn. Gibt es allerdings keine Trends, sondern Pendel-ausschläge, dann haben die G&W-Strategien mit langsameren Reaktionszeiten anschließend den Beifall auf ihrer Seite. In diesem Jahr hatten sie es ausgesprochen schwer.

Marktkommentar herunterladen (PDF-Datei, 137 KB)