Marktkommentar – 2. Quartal 2021

Leon Christian BreuerMarktkommentare, Top-News

Zwischen Erwartung und Angst

Konjunktureller Nachholbedarf bei hoher Liquidität der Verbraucher, staatliche Aufbauprogramme und niedrige Zinsen liefern den Treibstoff für steigende Börsen. Aber vielleicht ist all das zusammen zu viel des Guten?

 

­­­­­Börsenängste

Es wird nie anders sein. Die Angst spielt an der Börse immer mit. Manchmal präsentiert sie sich in der Hauptrolle wie in den mittler­weile fast schon vergessenen vier Wochen des Coronacrashs im Spät­winter 2020. Dann und wann wird ihr nur eine Nebenrolle zugebilligt. Es gibt auch Zeiten, in denen scheint sie in den Kulissen verschwunden zu sein. Börsenprofis sind der Auf­fassung, dass es gerade dann beson­ders gefährlich wird.

Angst wird im Allgemeinen als dif­fuses Gefühl wahrgenommen. An den Börsen lässt sich ihre Fiebrig­keit allerdings konkret messen. Die berechenbaren Schwankungen der Börsenpreise aus dem zurückliegen­den Zeitraum bilden einen Ursprung für diese Berechnungen und am Ende zeigt der Volatilitätsindex eine Zahl, deren Wert die aktuellen Er­wartungen der Börsenteilnehmer an die zukünftige Schwankung der Kurse anschaulich macht. Nach dem rekordhohen Corona-Ausschlag auf der Angstkurve wird aktuell mit nied­rigen Schwankungen gerechnet – was aber gar nichts bedeutet. Hier und jetzt heißt bei diesem Index tatsäch­lich hier und jetzt. Von jetzt auf gleich kann allerdings ein anderes Bild entstehen und der Pulsschlag der Börsen vom Ruhemodus direkt in einen Sprint übergehen.

 

Inflation

Das größte anglo-amerikanische Angstthema der Börsen heißt De­pression, verbunden mit einer De­flation. Die Corona-Lockdowns hät­ten zu solch einem Einbruch der Wirtschaft ohne absehbares Erho­lungspotential führen können, aber die beherzten Maßnahmen der Staa­ten und Zentralbanken haben es verhindert. Genau diese Maßnah­men führen nun zur German Angst vor der Inflation. Diese Karte wurde im ersten Halbjahr 2021 bereits mehrfach ausgespielt. Der erste An­lauf erfolgte über die Bezugnahme auf Erfahrungen aus der Vergan­genheit. Zu viel Geld kommt in den Kreislauf. Zu viel Nachfrage hat sich aufgestaut und heizt jetzt den Kon­sum an. Förderprogramme der Staa­ten werden ihr übriges tun. Die Ar­gumente sind schlüssig und so hat auch die Börse darauf ein paar Tage lang mit fallenden Preisen reagiert und die Schwankungserwartungen in die Höhe schnellen lassen. Das Thema hat im ersten Anlauf aber kei­ne Mehrheit bei dem Börsenteilneh­mern gefunden. Als Inflation etwas später dann auf der Faktenebene in Zahlen greifbar wurde, erfolgte nochmals eine Debatte im Markt über Ausmaß und Auswirkung der Inflation auf die Kurse von Aktien und Anleihen. Die Energiepreise waren angestiegen. Einige Indust­riemetalle wie Kupfer standen auf Allzeithochs. Der Bauholzpreis war explodiert. Der Schuldenstand ist hoch. All diese Themen bieten Raum für Geschichten und diese Ge­schichten beziehen sich in Deutsch­land immer wieder auf die tief in den kollektiven Erinnerungen ver­wurzelten Hyperinflationserfahrun­gen des vergangenen Jahrhunderts. Auch nach einhundert Jahren ist nichts davon vergessen.

Die Zentralbanken sind mit Blick auf die Inflation bisher gelassen ge­blieben. Die Daten deuten eher auf eine temporäre Spitze in der Inflati­onsentwicklung hin, nicht aber auf die typischen Lohn-Preis-Spiralen einer sich selbst erhaltenden und hochschaukelnden Dauerinflation. Der Grund für die aktuell relativ ho­hen Inflationszahlen kann auf rela­tiv niedrige Preise einiger Inflati­onstreiber während des Höhepunkts der Coronakrise zurückgeführt wer­den. Ein Jahr ist das jetzt her. Mit diesen Zahlen werden die aktuellen Niveaus verglichen. Würde man kei­ne Jahreswerte vergleichen, sondern Zweijahreswerte, würden die Ergeb­nisse des Vergleichs recht entspannt aussehen. Vermutlich ist dies der Grund dafür, dass die Angst vor In­flation die Märkte bisher nicht nachhaltig unter Druck setzen konnte.

 

Börsenentwicklung

Betrachtet man die Performance des zurückliegenden Frühlings­quartals an der deutschen Börse, dann wird man den Ertrag als über­durchschnittlich positiv werten können. Der langfristige Durch­schnittsertrag von Aktien liegt im Jahr zwischen sechs und acht Pro­zent. Die Zahl hängt vom gewählten Zeitraum ab. Er sollte idealerweise einen kompletten Börsenzyklus um­fassen. Startet die Berechnung an einem Börsenhoch und landet in der Nähe eines Kurstiefs, dann werden dabei ganz andere Zahlen heraus­kommen, auch wenn viele Jahre und damit statistische Relevanz dazwi­schenliegen. Verteilt auf vier Quar­tale würden diese sechs bis acht Pro­zent pro Jahr nur zu einem etwa halb so hohen Ergebnis der deutschen Börse führen wie in den vergange­nen drei Monaten.

Ein Quartal selber und seine Perfor­mance geben aber nicht viel her für eine sachgerechte Kommentierung. Erst Vergleiche mit anderen Bezugs­größen und Zusammenhängen ma­chen das Geschehen greifbar. Ver­gleicht man den Deutschen Aktien­index der 30 großen Aktien (DAX) mit der Wertentwicklung der mit­telgroßen Aktien, dann fällt auf, dass die zweite Reihe (MDAX) erfolgrei­cher unterwegs war. Der Grund da­für ist einfach zu finden. Das Ergeb­nis des DAX war im ersten Quartal ein Ausreißer nach oben. Es lag dar­an, dass Mitte Februar 2021 einige stark zurückgebliebene Aktien mit starker Gewichtung im Index, z. B. Automobilwerte, in einer explosiven Branchenrotation angesprungen sind. Andere Börsenindizes – z. B. Austra­lien oder auch der NASDAQ-100 in den USA – haben wie der deutsche MDAX im zweiten Quartal 2021 bessere Ergebnisse erzielt als die 30 großen DAX-Werte. Aber auch dies sagt über die Zahlen hinaus nicht viel aus. Quartalsergebnisse sind Zufälle, bestimmt durch die beiden Bestimmungspunkte am Anfang und Ende des Zeitraums.

Ein aussagefähiges Bild entsteht erst, wenn man als Betrachter ein paar Schritte zurücktritt. Bereits ein Zeitrahmen von zwei Jahren er­möglicht aktuell dem darin entste­henden Bild eine verwertbare Aus­sage, denn es bildet sich mit dem Kursplateau vor dem Coronacrash ein Horizont, an dem eine Orientie­rung möglich ist. Jeder Zeitraum von aktuell bis zu 15 Monaten ist nur eine Verzerrung des realistischen Bildes, denn der größte Teil dieser Performance gehört zur Erholungs­phase der im Coronacrash gefalle­nen Kurse zurück auf ihr altes Kurs­hoch.

 

Rückblick

Einerseits liegen also fünfzehn gute Performancemonate hinter uns. Sie bedeuten für sich allein gesehen al­lerdings nicht viel, denn ihnen vor­an gingen vier Wochen eines Kurs­absturzes, wie ihn die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Wer bis dahin die Angst an den Börsen noch nicht kennengelernt hatte, der konnte ihr hier begegnen. Der Vola­tilitätsindex jedenfalls hat einen re­kordverdächtigen Wert angezeigt. Es war die Angst von der größten Rezession seit einhundert Jahren. Damals, in der großen Weltwirt­schaftskrise, fielen die Börsen um ca. 85 %. Soweit kam es nicht und als G&W-Kunde brauchte man diese Angst – vor dem, was hätte passie­ren können, wenn die Staaten und Zentralbanken nicht mit unfassba­ren Mitteln eingegriffen hätten – auch nicht zu haben. Man konnte der Angst vom sicheren Rand des Spiel­feldes aus zusehen, denn als Risiko­manager hatten wir systematisch verkauft. Genau so systematisch sind wir in den Markt zurückgekommen und haben die Performance auf dem Weg nach oben nicht verpasst.

Verpasst haben wir erst seit Mitte Februar 2021 mit einem Teil unserer Strategien einen Teil dieser Perfor­mance. Dort, wo wir Chancenma­nagement-Modelle eingesetzt ha­ben, konnten sie zunächst nicht dem abrupten Umschaltmanöver der Börsen von den Corona-Gewinnern zu den zurückgebliebenen Aktien und vermeintlichen Nach-Corona- Gewinnern folgen. Es brauchte sei­ne Zeit, bis die G&W-Modelle die neuen Favoriten mathematisch grei­fen konnten. Mittlerweile ist auch das Chancenmanagement wieder in der Welt angekommen, in der einige der großen Verlierer zu großen neu­en Gewinnern geworden sind.

Im ersten Halbjahr 2021 waren da­her die G&W-Fonds unsere Gewin­nerstrategien, die nicht – oder mit möglichst geringen Anteilen – nach den Chancen einzelner Aktien an den Börsen Ausschau halten. Auch wenn das Management von Chancen langfristig ein probates Mittel ist, um ein enormes Performancepotential heben zu können, im vergangenen Halbjahr konnte dies im größten Momentumabriss der Gewinnerak­tien seit zwanzig Jahren nicht grei­fen. Es war das Halbjahr der Index­strategien.

 

Strategische Positionierung

Wie also geht man nun als Vermö­gensverwalter mit diesen Vorgaben um – immer unter der Prämisse, dass man nicht wissen kann, was die Zu­kunft bringen wird?

Das Potential für weiter steigende Kurse ist einfach zu gut, um sich aus Angst vor möglichen Risiken – wie Inflationserwartungen – aus dem Markt zurückzuziehen. Falls den­noch ein potentieller Auslöser für fallende Kurse an den Börsen den Einfluss gewinnen sollte, um den Markt in einen Abwärtstrend drü­cken zu können, werden unsere Risi­komanagementsysteme das Regime übernehmen und darauf reagieren.

Weil in ihren Anfangsphasen die Erscheinungsbilder von Korrektu­ren im Aufwärtstrend und Trend­wenden nicht voneinander zu unter­scheiden sind, hilft nur ein Patent­rezept: Diversifikation. Wir diversi­fizieren dabei nicht nur nach Märkten, sondern auch nach mathe­matischen Modellen, denn der Gleichlauf der internationalen Bör­sen hat in den vergangenen Jahr­zehnten immer mehr zugenommen. Keine Börse kann sich den großen Kapitalströmen entziehen, wenn die Schalter von Risc-On auf Risc-Off umgelegt werden. Was aber unver­ändert funktioniert, ist die Vertei­lung der Chancen und Risiken auf unterschiedlich arbeitende mathe­matische Modelle. Da Anleihen mit guter Bonität zurzeit keinen Zins und keine Aussicht auf Kursgewin­ne bieten können, haben diese Mo­delle nur eine Aufgabe: Sie müssen und sie werden definieren, wie viele Anteile der Kapitalanlagen in Ak­tien investiert sind oder alternativ in Liquidität oder Anleihen geparkt werden.

 

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